Zum Hauptinhalt springen
Telefon 030-841 902-0  |  Montag bis Freitag: 10.00 - 18.30 Uhr | Samstag: 10.00 - 16 Uhr

Lea Ypi. Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte

Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag

„Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“, dies Wort von Rosa Luxemburg eröffnet ein bewegendes Buch über Geschichte und Freiheit ohne eine nähere Bezeichnung wie Erinnerungen, Roman oder Fragen nach… Es ist eben ein unbeschreiblich warmherziges, menschenfreundliches, schönes und kluges Buch einer begnadet begabten Erzählerin!
Und wer spätestens jetzt die Hand hebt und ruft: „Es reicht! Es reicht!“, sollte rasch „Sternstunde Philosophie – 3Sat Kultur, Das Geheimnis der Freiheit“ im Internet einschalten: Wolfram Eilenberger („Feuer der Freiheit“, sitzt einer Frau gegenüber, die ihm, aufmerksam lächelnd, gespannt zuhörend, behutsam erwägend, ihren Begriff der Freiheit entfaltet, währenddessen er zusehends, soll man sagen „schmilzt“? Ihr Buch gehört zu jenen raren Exemplaren, bei denen man beim fortschreitenden Lesen mit Seufzen auf die verbleibenden Seiten blickt ...Gehörte die Ukraine schon zu den kaum beachteten Ländern Europas, weil die Verständnisinnigkeit, politisch mit Putin, literarisch mit Puschkin dominierte, so war Albanien nie im Blick Westeuropas – ein total abgeschottetes Land zwischen allen Blöcken. Dort wächst Lea Ypi in einer Familie auf, die absolut nicht repräsentativ für das sozialistische Albanien stand, auch wenn die Erzählerin elf Jahre ein glückliches und begabtes Kind dieser Welt war und liebevoll von Onkel Enver spricht. Die Erwachsenen blenden die politische Realität dem Kind gegenüber aus – sie ist zu gefährlich. Die Familie hat nur stark prägende Gestalten, allen voran die Großmutter, ihr ist auch das Buch gewidmet. Von den Eltern weiß das Kind: „Ganz allgemein war die Entschlossenheit meines Vaters, seine Meinung zu äußern, ebenso so groß wie die meiner Mutter, sie zu ignorieren.“ „Als mein Vater einmal vorschlug, eine historische Dokumentation über die Hungersnot in Bengalen zu schauen, sagte Mama: 'Zafo, ich weiß, was Hunger ist, ich muss das nicht im Fernsehen sehen.“
Es kommt der Umbruch, die Welt verwandelt sich: Aus der „Partei“ wird die „Zivilgesellschaft“, aus der „Selbstkritik“ die “Transparenz“, aus der Freiheit - die des Kollektivs - wird die des Individuums. Lea Ypi rechnet nicht mürrisch ab mit dem Gestern, sie erzählt humorvoll von unvergesslichen Personen in unvergesslichen Situationen, von denen die Umarmung Stalins (der steinernen Statue) zu Beginn des Buches zu den köstlichsten gehört. Viele der Rückblick-Bücher sind wehleidig, andere harmlos (große Ausnahme: Peter Richters „89/90“), nein: Lea Ypi ist zu klug, zu charmant, gedanklich viel zu elegant (ihre Großmutter kommt aus der Familie eines türkischen Paschas ...), um in diese Fallen zu gehen. Sie beginnt Philosophie zu studieren, um eine Verbindung von Kant und Marx zu denken – von der sie Wolfram Eilenberger im Gespräch mit bezauberndem Lächeln erzählt. Der arme Eilenberger ...
Helmut Ruppel

332 Seiten
28 Euro