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Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

Matthes & Seitz

Titel und Seitenzahl dieses Buches lassen den Leser ahnen, dass ihm die Lektüre einiges abverlangen wird. Läßt er sich aber darauf ein, macht ihn schon die fulminante Eingangsszene zur Geisel eines irrwitzigen Erzählunterfangens: Der 13jährige Titelheld wird zusammen mit Claudia und Bernd in einem NSU („Weil ein Song von Cream so heißt“) von der Polizei verfolgt, sie haben eine um die Ecke schießende Pistole dabei sowie andere verfängliche Gegestände aus Kaugummiautomaten. Sie entkommen und sehen am Abend im elterlichen Fernsehzimmer die Phantombilder der gesuchten RAF-Mitglieder. Und erkennen sich wieder.

Was ist wahr, erinnert, erfunden in diesem Roman? Ist es überhaupt ein Roman, mit seinem 14seitigen engbedruckten Register, von Adenauer (2 Eintragungen) über Beatles (geschätzte 60, zumal auf einzelne Songs extra verwiesen wird), Foucault (4), Glied (16), bis Zündplättchen (3). Jedenfalls umfängt den Leser sofort die bleierne Zeit der 60er Jahre in der hessischen Provinz, wo es überhaupt nicht swingt. Die Welt der Pubertierenden wird von Dualitäten bestimmt: Evangelisch oder katholisch, GeHa oder Pelikan, Beatles oder Stones, Märklin oder Fleischmann. Die Handlung changiert permanent zwischen Realität und Wahn, die Perspektive des kindlich assoziierenden Helden wechselt mit der des Erwachsenen, der sich in der Psychiatrie befindet und befragt wird: Von einem Arzt? Im Polizeiverhör? Im Beichtstuhl?
Nichts ist sicher in diesem überbordenden Werk , an dem Frank Witzel acht Jahre lang gearbeitet hat. Es ist ein phantastisches Fabulierfest geworden, das sich allen Vergleichen strikt verweigert.

Soviel ist dann doch sicher: Frank Witzel hat das mit Abstand ungewöhnlichste Buch dieses Jahres geschrieben.

Ein Solitär. gw

818 Seiten

29,90€

Sommer 2015