Jutta Voigt: Stierblut-Jahre. Die Boheme des Ostens

Aufbau Verlag
„Es war einmal ein Land..., in dem Filme, Opern und Tänze verboten wurden, weil sie ein paar alten Männern nicht gefielen. Ein Land, aus dem man nicht raus konnte ...“. Können Sie sich vorstellen, dass es in diesem Land ein Leben gab, das leicht war und bunt, verzweifelt und verspielt zugleich – das Leben der Boheme?“
Ja, das gab es tatsächlich in der DDR, eine lebendige Alternativ-Szene.
Die graue Düsternis notdürftig beleuchteter Straßen in heruntergekommenen Stadtquartieren und verfallende Gutshäuser in ländlichen Regionen boten Schutzräume für alternatives, selbstbestimmtes Leben und Schaffen in allen Sparten der Künste.
Nicht nur in der „Hauptstadt“, auch in Leipzig, Halle, Dresden, und in der DDR- Provinz.
Überlebenswichtig war ein Dauerarbeitsverhältnis, sei es als Friedhofsgärtner oder Toilettenaufsicht, oder die Erlaubnis des Finanzamtes, freiberuflich tätig zu sein. Andernfalls drohte die Staatsmacht mit dem Strafrecht: „asoziale Lebensweise“ wurde mit Knast zur „Arbeitserziehung“ bedacht, Minderjährige in den berüchtigten Jugendwerkhöfen drangsaliert.
Die Autorin Jutta Voigt, Ostberlinerin Jahrgang 1941, war seit ihrer Studentenzeit und später als Journalistin mittendrin dabei, beobachtete die Etablierten und die Westbesucher im Künstlerclub Die Möve, die hoffnungsvollen Jungtalente und die Möchtegern-Künstler, die Abgestürzten und die einfallsreichen Kreativen, die der repressiven Staatsmacht so manches Schnippchen schlugen.
Zu Lesungen und Gesprächen traf man sich in privaten Wohnungen und kleinen privaten Galerien. Gefeiert wurde oft und ausgelassen, der ungarische Rotwein Stierblut, das Kultgetränk der Alternativen, floss reichlich.
Anfangs, in den Gründerjahren der DDR, dominierte die Hoffnung auf eine gerechte und freie Gesellschaft, die anders sein sollte, als im kapitalistischen Westen.
Diese Hoffnungen der Intellektuellen und Künstler der DDR zerstoben spätestens 1976 mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Die Staatsmacht wollte Unterwerfung erzwingen.
Bespitzelung, Zersetzung der Szene durch Misstrauen, Belohnung bei Wohlverhalten, erzwungene Ausreise für die Widerständigen waren die perfiden Methoden.
Hierbleiben oder weggehen, war die meist gestellte Frage in der Künstlerszene in den 1980er Jahren.
„Was verboten ist, das macht uns gerade scharf.“ Dieses Biermann-Wort erklärt vielleicht, warum gerade im Gouvernanten-Staat DDR subversives Leben gedeihen musste. Jutta Voigt bietet - brilliant und unterhaltsam geschrieben - Einblicke in ein eher verborgenes Segment der DDR-Wirklichkeit. js
272 Seiten
19,95 €