Alexander Goldstein: Denk an Famagusta

Aus dem Russischen von Sabine Kühn
Matthes & Seitz
„Ich bin absolut kein Historiker, vielleicht bringe ich etwas durcheinander, in meinem löchrigen Kopf geht alles drunter und drüber, löffeln Sie den Brei der Chronologie doch selber aus.“
Sollte man sich als Leser diesem erklärtermaßen unzuverlässigen Erzähler für mehr als 500 Seiten anvertrauen? Man sollte es unbedingt, vorausgesetzt man verabschiedet sich konsequent von bisherigen Lesegewohnheiten und Erwartungshaltungen. Es gibt keine nacherzählbare Handlung in dieser Wunderkammer eines Romans; Zeitebenen und Orte wechseln und verschränken sich ständig, Goldsteins melodisch-mäandernde Sätze durchmessen mühelos auf wenigen Seiten ganze Jahrhunderte.
Die Stelle des Helden nimmt eine Stadt ein: Baku, aserbaidschanische Erdölmetropole am Kaspischen Meer, Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, zwischen Tradition und Moderne. Im bunten Völkergemisch dieser Stadt lässt Goldstein ein raffiniertes Geflecht aus Erinnerungen, Alltagsszenen und erotischen Eskapaden erstehen, kaleidoskopartig, rhapsodisch, detailreich und voll des grimmigsten Humors. Der Untergang der „Union der sozialistischen Sowjetrepubliken“ wird von deren östlichstem Rand her beobachtet, aber noch dieser Abgesang ist voller liebevoller Schilderungen des Alltagslebens. „Ich, der den Osten hasste, lebte mein Leben lang im Osten.“
Alexander Goldstein, 1957 in Talinn geboren, emigrierte 1990 wie viele Juden aus dem zerfallenden Sowjetimperium nach Israel, wo er 2004 starb. „Alles mitbringen, nichts vergessen“ – aus dieser simplen Poetologie formte er diesen ausufernden, überbordenden, faszinierenden Erzählstrom, der seinesgleichen nicht hat. gw
540 Seiten
30,00€