HERTA MÜLLER. EINE FLIEGE KOMMT DURCH EINEN HALBEN WALD

Hanser Verlag
Zwölf kurze Studien und ein Monolog am Schluss; wichtige Dankreden für Preisverleihungen, glasklare Bilder deutscher Erfahrungen, punktgenaue Skizzen, so in „Herzwort und Kopfwort. Deutschland und seine Exilanten“. Herta Müller erzählt: „Der BND und der Verfassungsschutz verhörten mich mehrere Tage. Schon das erste Gespräch war surreal. Der Beamte fragte: „Hatten Sie mit dem dortigen Geheimdienst zu tun?“ Ich sagte: „Er mit mir, das ist ein Unterschied.“ Der Beamte: „Lassen Sie die Unterscheidung mal meine Sache sein, dafür werde ich schließlich bezahlt.“
Ihr Aufsatz über den Artikel 1 des Grundgesetzes, die Würde, gehörte in ein „Lesebuch für die Oberstufe“. Auch die Dankansprache anlässlich der Verleihung des Ordens Pour le mérite ist ein wahres Lehr-Stück über Freiheit und Bevormundung. Müller schreibt so knapp, dass sie besser im Original vorzustellen ist: „1987 kam ich mit kaputten Nerven in Deutschland an. Ich erzählte den deutschen Behörden mein Leben in Rumänien rauf und runter. Ich wurde gefragt, ob ich politisch verfolgt war oder ob ich Deutsche sei. Ich sagte: Beides. Darauf meine der Beamte: Dafür gibt es kein Formular. Ich solle für die Einbürgerung den SS-Nachweis meines Vaters aus dem Document Center in Berlin besorgen. Es war ein Schock. Ich weigerte mich und sagte: Ich will nicht deutsche Staatsbürgerin werden durch die SS-Angehörigkeit meines Vaters. Ich schäme mich dafür. Der Beamte sagte: Aber Sie sind doch sein Kind. Und ich sagte: In dieser Hinsicht nicht“. Persönlich – politisch, wer will das trennen? In einer Stimmung genereller Gereiztheit angesichts der Hass-Explosionen allüberall verliert sie nicht die Selbstachtung und bewahrt ihre Sehnsucht nach einer Zukunft in Freiheit und Würde. Und, ach, wie ist das zum Aufatmen, verliert nicht das Lachen. Helmut Ruppel
126 Seiten