WOLF HAAS. EIGENTUM

Hanser Verlag
Ja, ein Wiener, und wieder bringt er Österreichs Beitrag zur Weltliteratur verhalten, knurzig, mit einer Masse Schmäh unter einer Wagenladung voll Grummeleien so elegant und von verblüffender Anmut „zur Sprache“ wie kaum einer: den Tod. „Es lebe der Zentralfriedhof!“, „Der Tod, das muss ein Wiener sein.“ Franz Schuh, der große Theatergeist, nannte seine Lebenserinnerungen „Lachen und Sterben“ und die entscheidende Wiener Tugend „Einsamkeitsfähigkeit“. Der älteste Vorfahr von Georg Kreisler ist der Autor von „Ach, du lieber Augustin, alles ist hin ...“ , das Tanzgeträller rund ums Pestgrab, Österreichs unverkennbar moribunder Eigenton, auch ihn beherrscht Haas sprachlich meisterhaft. Selbst in der Körper-Sprache kann er es: Das SZ-Magazin vom 20.10.2023 zeigt Wolf Haas in 7 Szenen der Reihe „Sagen Sie jetzt nichts“ - ein lustig-kümmerliches Mauerblümchen, das da einen Wiener Autor ab-bildet. Früher war er Werbetexter: „Lichtfahrer sind sichtbarer“ und „Ö 1 gehört gehört“. Dann kamen die einmaligen unvergesslichen Brenner-Krimis mit Brenners Tresen-Stummel-Monologen und die wirklich seltsamen Romane. „Das Wetter vor 15 Jahren“, wohl der Beste!
Nun die Überraschung: „Drei Tage vor ihrem Tod, sie war fast 95 Jahre alt und nicht mehr ganz da, erkundigte sich meine Mutter bei mir nach ihren Eltern ...“ Ein Satz, den jedes gescheite Literaturseminar ein Wochenende herausfordert; mit ihm beginnt Wolf Haas die Geschichte vom Tod seiner Mutter zu erzählen. Die Frage ärgert ihn; immer wollte seine Mutter ihm weismachen, es ginge ihr sehr schlecht und drei Tage vor ihrem Tod die Neuigkeit, es geht ihr sehr gut! Wir erwähnten ja, Wien und der Tod … Er erfindet ein Telefonat mit dem Himmel und kann der Mutter mitteilen, allen ginge es gut bis auf den Vater, der habe einen Schnupfen, sei aber auf dem „Weg der Besserung“. Damit löst er eine intensive Erinnerungswelle über die Erkältungsanfälligkeiten des Vaters aus und wir sind nach wenigen Seiten im äußerst harten Leben der Mutter: „Den ganzen Tag lang nur Arbeit, Arbeit, Arbeit.“ Und er setzt ihrem engen, bedürftigen Leben ein Denkmal. „Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf einmal beleidigt“. Haas hilft sich mit sprachlichen Möglichkeiten Aussichtslosigkeit, Störrischkeit, Hoffnungslosigkeit Ausdruck zu verleihen, z.B.der Wiederholung. So erleben wir das Alltagsleben der Mutter in einer Endlosschleife. Sie schuftet, schuftet, schuftet. Am Ende bekommt sie auf dem Friedhof 1,7 Quadratmeter, ganz allein ihr Eigentum. „Ich war nicht traurig, dass sie gestorben war. Im Gegenteil, ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben glauben, dass es ihr gut ging.“ Da liegen nun schon Vater und Bruder, so sagt Haas „unser Grab“. Das alles ist wirklich nur traurig in Maßen, dazwischen gibt es Meditationen über den Friedhof, den einzigen Ort im Dorf, wo das Leben sich richtig abspielte, (man muss aufpassen, nicht in diesen österreichischen Todessog zu geraten!), dazwischen gibt es wunderbare Exkurse über die Wirkung zu Tränen rührender Musik. Sprachlich und emotional in höchstem Maße überzeugend sind die Erzählkapitel der Mutter, ihr Dialekt aus dem Pinzgau. Es ist kaum möglich, diesem stilistisch exzellenten und sehr persönlichen Roman, der nicht traurig ist, gegenüber Distanz zu halten, vor allem dann, wenn Haas nebenbei uns versichert: „Nie steht man fester auf der Erde, als wenn man am Grab steht.“ „Ach, du lieber Augustin ...“ Ist der Sohn nun von all dem berührt, bewegt, beansprucht? „Vielleicht glaubt mein Unterbewusstsein ja doch, dass ich dort, wo meine Mutter jetzt ist, ich weiß nicht genau, wie es da heißt, einmal anrufen und sagen könnte, dass es mir gut geht.“ Danke, Wolf Haas, für diesen, wörtlich, außer-ordentlichen Roman! Helmut Ruppel
159 Seiten
22 €