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Tom Segev. Jerusalem Ecke Berlin. Erinnerungen

Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Siedler Verlag, 416 Seiten, 32 €

Liegt der Titel im Buchladen auf dem Büchertisch „Israel Ecke Weltliteratur“, hat er umso mehr den angemessen sprechenden Platz gefunden, so unbewusst wie punktgenau...Und wenn er in „Blau-Weiß“ leuchtet, den Nationalfarben Israels, die aber rechts oben und links unten von den brennenden Weltgeschehnissen bedroht sind, ist die zu erwartende Herausforderung des Buches nicht mehr abzuweisen!
Tom Segev, prägend-pointierte journalistische Stimme des modernen Israel, ist seinem Buch in Deutschland nachgereist, ist in vielen Interviews, Lesungen und Seminaren gelassen engagiert präsent. In Berlin wurden er und sein Buch von Shelly Kupferberg präsentiert, die selbst eben ihren Urgroßonkel Isidor (wir kommen noch zu ihr und ihm...) vorgestellt hat. Viele Interviews sind lebhaft und rasch, oft mehr vom Interesse an Segev denn von Kenntnis seines Buches bestimmt, denn das Buch könnte ein gediegenes Geschichtsstudium ausfüllen – sieht man sich das Personenregister an, steht die Frage auf: Wer auf dieser Welt ist nicht erwähnt....Von Albert Speer bis Simon Wiesenthal, Hannah Arendt bis Baldur von Schirach - der Bogen umspannt mehr als die Ecke Jerusalem/ Berlin. Und ein „Eckensteher“ war Segev in seinem Leben keine Sekunde, viel eher einer mit Kanten und Ecken, wie er lebenslang in Ma'ariv und Ha'aretz, tonangebenden Zeitungen in Israel, zur Kenntnis gab. 1945 in Jerusalem geboren, nur wenig älter als sein Land, begleitet er diese jüngere Schwester aufmerksam, liebevoll, scharfäugig und weiser werdend von Tag zu Tag bis heute. Zum 75. Geburtstag Israels wird auch er viel jenen zu erzählen haben, die seine Bücher der historischen Begleitung noch nicht lesen konnten: „Es war einmal ein Palästina“ (2005), „Die ersten Israelis, Die Anfänge des jüdischen Staates“(2008) und die Biographien von Simon Wiesenthal (2010) und David Ben Gurion (2018), um nur diese zu nennen. Für seine Dissertation arbeitete er auch in der Nähe der Hammersteins und Weizsäckers, an der Grenze zu Dahlem auf dem Gelände zwischen Wasserkäfersteig und Täubchenstraße, in einer Bunkeranlage, die - in krassestem Kontrast zu den lieblichen Straßennamen – die fürchterlichsten „Dokumente“ der Nazi-Zeit enthielt, dem Berlin Document Center. Berlin selbst nennt er eine „Stadt ohne Frohsinn“, was nicht für andere Orte Deutschlands gilt, das er viel und intensiv bereist. Die Schilderung der Haftentlassung Speers und von Schirachs in Spandau ist ein Alptraum-Kapitel. Später besucht er Speer und es geht ihm durch den Kopf: „Da drücke ich eine Hand, die auch Hitler gedrückt hat.“ Andere Kapitel sind wohltuend, erheiternd, mit Weisheit, Witz und Herzensgüte geschrieben. Ob er nun Teddy Kollek porträtiert, den charismatischen Bürgermeister von Jerusalem, Mutter Teresa, Bärbel Bohley, Hannah Arendt oder Anwar Sadat – immer sind es Menschen mit Geschichten. Und hier schlägt auch das Herz des Buches: Segev ist überzeugt, „dass Deutschland inzwischen für Israel das wichtigste Land ist, gleich nach Amerika. Politisch, wirtschaftlich, militärisch, wissenschaftlich und kulturell gibt es für Israel kein wichtigeres Land...wie unnormal die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel immer noch sind, das war interessant zu analysieren (= Gedenken an das Attentat in München. H.R.). Gleichzeitig gibt es aber trotzdem eine Wärme und eine Kooperation, die Israel – außer mit den USA – sonst mit keinem anderen Land hat.“ (Jüdische Allgemeine, 15.11. '22) Die Geschichte dieser beiden Länder und ihrer Menschen bewegen ihn und haben ihn zu diesem Buch bewegt. Tom Segevs erzählt von seinem Enkel Ben: „Eines Tages sagte er unvermittelt zu mir: 'Opa, weißt du, ich habe Worte furchtbar gern.'“ Da kann Segev nur noch antworten: „Ich auch“. Die beiden letzten Worte des Buches – gewiss nicht des Autors...Und es gilt ebenso für die Übersetzerin Ruth Achlama! Helmut Ruppel